Die „Lebendige Bibliothek“- ein Projekt der Begegnung

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Allgemein / Blog

Auf welchem Wege können Menschen mehr übereinander erfahren? Es gibt Personen, mit denen wir im alltäglichen Leben kaum oder nicht in Kontakt kommen. Entweder wissen wir nichts über ihre Besonderheiten, von ihren Interessen oder von Umständen, die das gesamte Leben verändern, beeinträchtigen oder bereichern. Meistens ist die Ursache für das Empfinden anders zu sein, durch die Gesellschaft geprägt. Was sich nicht in ein gängiges Schema einordnen lässt wird abgelehnt und zum Teil auch ausgegrenzt. Wie fühlt es sich an, die Welt mit anderen Augen zu sehen? Was bedeutet es beispielsweise ausschließlich rational zu denken oder bisexuell zu sein?
Diese Thematik war Inhalt eines Medienprojekts, das ich mit einer siebenten Klasse des Gymnasiums Hermannswerder durchführte. Dafür lud ich zwei Personen ein, die bereit waren, uns an ihrem Leben, ihren Besonderheiten und damit verbundenen Ausgrenzungserfahrungen teilhaben zu lassen. Wie es für die lebendige Bibliothek bekannt ist, stellten sie sich im Gespräch den Fragen der SchülerInnen und Schüler- fungierten somit als „lebendiges Buch“.
Zu Gast waren zwei junge Studenten. Bei Andreas wurde vor drei Jahren das Asperger-Syndrom diagnostiziert und Richard ist bisexuell. Beide sprachen darüber, welchen Vorurteilen sie häufig in der Gesellschaft begegnen, aber auch, welche Vorteile das Asperger-Syndrom bzw. Bisexualität mit sich bringt.
Viele berühmte Persönlichkeiten hatten womöglich das Asperger-Syndrom. Darunter zählen Erfinder, wie zum Beispiel Einstein, Newton, Elon Musk, der Tesla gegründet hat oder Mark Zuckerberg, der Erfinder von Facebook. Das hängt damit zusammen, wie Andreas behauptete, dass Menschen mit Asperger-Syndrom sich auf ein bestimmtes Thema fokussieren können, dafür aber andererseits „den Rest total ausblenden“.
Bei Andreas, der gelernter Heilerziehungspfleger und Erzieher ist, ist es so, dass er sich zur Zeit voll und ganz auf das „Mensch sein“ konzentriert, was er durch ein Studium der Philosphie intensiviert. Menschen mit Asperger-Autismus denken eher rational, wie er verriet. Das führt in der Gesellschaft häufig zu der Überzeugung, dass sie kalt und emotionslos seien oder eben zu Missverständnissen. Andreas kann zum Beispiel gar nicht lügen. Die Antwort auf die Frage seiner Frau, wie er denn ihr Kleid an ihr findet, behielt er lieber für sich.
Richard weiß seit seinem 20. Lebensjahr, dass er bisexuell ist. Er verliebte sich in einen anderen jungen Mann. Es dauerte ungefähr ein Jahr bis er es seinen Eltern sagen konnte. Seine Freunde, wie er schmunzelnd anmerkte, wussten es teilweise schon vor ihm.
In der siebenten und achten Klasse, also nach dem Schulwechsel erfuhr er das erste Mal, was es heißt, ausgegrenzt zu werden. Das lag damals aber eher an der neuen Klasse. Die meisten Leute, so Richard, haben selber Probleme und wollen keine Außenseiter sein. Deshalb machen sie da mit – aus Selbstschutz.
Richard empfindet seine Bisexualität als etwas Positives. „Ich denke ja nicht die ganze Zeit darüber nach.“, bemerkt er hierzu. Ein großes Vorurteil, welches er immer wieder hört, ist, dass bisexuelle Menschen eigentlich heterosexuell sind, sich aber noch nicht entschieden haben. Ein anderes Thema ist die Familienplanung. Denn in seinem Freundeskreis haben in den letzten Jahren alle Kinder bekommen. Die meisten leben in festen Partnerschaften – da fühlt er sich manchmal etwas allein. Er hat den Eindruck, dass in seinem Umfeld Bekanntschaften eher flüchtig sind. Trotzdem hofft er nach wie vor auf eine feste Beziehung.
Andreas brachte  zwei Bücher zum Thema Asperger-Autismus mit. Diese legte er der Klasse sehr ans Herz, falls sie sich noch näher mit dem Thema befassen möchten. Das Buch von Kathy Hoopman: „So sehe ich deine Welt, willst Du auch meine sehen? Asperger-Innenansichten“ veranschaulicht in kurzen, prägnanten Texten und eindrucksvollen Bildern die Auswirkungen dieses Syndroms. Es eignet sich besonders für betroffene Kinder und ihre Angehörigen.

Eine weitere Buchempfehlung für Interessierte ist „Geniale Störung: Die Geschichte des Autismus und warum wir Menschen brauchen, die anders denken.“ von Steve Silvermann. Dieser unterhaltsame Schmöker richtet den Blick in die Vergangenheit, vermittelt wissenschaftlich fundiertes Wissen und stellt Theorien über den Ursprung der Autismus-Spektrum-Störung auf.

 von Elisabeth Mucha (Studentin der FHCHP)

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